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Kunsthistorisches Institut

Bild-Riss. Textile Öffnungen im ästhetischen Diskurs

Konzept

In seinem Kommentar zu Gilles Deleuzes Différence et répétition von 1968 liess Michel Foucault unter dem Stichwort des gerissenen Fadens Ariadne sich an der selbst geflochtenen Schnur erhängen, Theseus den Weg verlieren und das gesamte philosophische Denken die Form eines verschatteten, Collage-artigen Theaters der Irrwege annehmen. Die heutige Selbstverständlichkeit und Geläufigkeit der immer wiederkehrenden textilen Metaphern von Verhüllung, Verschleierung, Einkleidung und Transparenz in der Debatte zur Medialität des Unsichtbaren scheint diese Tatsache zu beweisen. Daher konzentriert sich in der Zeit der Krise von Transzendenz und Repräsentation der kunst- und kulturhistorische Diskurs u.a. auf den Modellfall Schleier als ultimative und trügerische Figur der Unzugänglichkeit. In diesem Kontext drängt sich dahingehend immer noch die Frage auf nach der Aktualität und Effizienz bzw. Trägheit der Repräsentationsbegriffe.

Die Tagung setzt sich als Ziel, sich kulturtheoretisch, kunst- und bildwissenschaftlich, wie auch im Hinblick auf die historischen Kontexte der Bilder mit dem Problem der Desintegration und Auflösung der Denk- und Bildstrukturen auseinanderzusetzen, die mithilfe der tatsächlich oder im übertragenen Sinne abgebrochenen textilen Verknüpfung thematisiert bzw. visualisiert werden. Ausgehend von dem zweiten – nach dem verbindenden Wirken, Weben und Flechten – Gestaltungsprinzip des Textilen: dem Schneiden, soll die textile Unterbrechung als Problem der historischen und zeitgenössischen ästhetischen Erfahrung, Bildkritik und Kunstpraxis beleuchtet werden. Im Vordergrund soll v.a. bildtheoretisch gezielt hinterfragt werden, welche inhaltlichen Differenzen zwischen solchen Begriffen wie Schnitt, Riss, Stich und Bruch in diesem Kontext vorhanden sind, bzw. ob sie überhaupt als Synonyme behandelt werden können.

Schlitz als Form

Der mechanische Eingriff in die gewebte Struktur des Kunstwerkes soll nicht nur auf seine ikonoklastische oder erotische Interpretation reduziert werden. Die zerrissene, fragmentierte oder aufgeschlitzte textile Fläche/Oberfläche des Werkes, v.a. die Leinwand in der Malerei, kann darüber hinaus auch als Ort der Selbstreferenzialität und Überwindung der Gattungsgrenzen gedeutet werden, wie z. Bsp. in klassischen Bildern von Lucio Fontana und Alberto Burri, oder in anderen von Ad Reinhardt 1953 als ‚canvas-stabbing‘ bezeichneten modernen Bildpraktiken der Textur. Von wesentlicher Bedeutung sind dabei die theoretischen Fragen um den durch das kritische Zerreissen und Zerschneiden zum Sprechen kommenden textilen Status des Bildes, das gerade dadurch seine Aura wiederherzustellen vermag und vielleicht erst als solches bereit ist, wieder dialektisch zurückzuschauen. Die Betrachtung des Kunstwerkes als ein Körper, dessen Ausdruckspotenzial mit dem körperlichen Selbstempfinden des Betrachters interagiert, ermöglicht es gleichzeitig, den tatsächlichen wie auch nur bildlich simulierten Schnitt, Stich und Riss in der geflochtenen Fläche als eine sprechende Wunde zu betrachten. Demzufolge kann die Körperlichkeit des Visuellen auf die Struktur des Textilen zurück projiziert werden.

Reflexivität der Dekomposition

Wie kann der gebräuchliche Begriff der Dekomposition im Rahmen der textilen Metaphorik des Bildes verstanden werden? Der Schnitt reflektiert auf einer weiteren Ebene eine textile Bildstörung als ein produktives Gestaltungsprinzip und in diesem Sinne ebenso die konsequente Negation der bildtragenden textilen Fläche. Weniger ist dabei die rein pikturale Ausdehnung der Fläche zum Raum als Aufgabe des täuschenden zweidimensionalen Mediums Malerei von Interesse. Vielmehr wären die Prozeduren der programmatischen Ablehnung des textilen Bildkörpers zu hinterfragen, wie z. Bsp. die Erzeugung von fragmentarischen, zitierenden und grenzüberschreitenden Bildformen, die mit ihrem Prinzip der mechanischen Dekomposition ausdrücklich gegen den traditionellen Primat der Leinwand als gerahmter und mit einer optischen Einheit gekennzeichneter Repräsentationsort gerichtet werden (u.a. im Rahmen der modernen Ästhetik von Collage und Assemblage).

Textile Störung

Im Rahmen der Tagung werden ebenfalls künstlerische Praktiken problematisiert, welche das Dargestellte bzw. das Objekt in die textile Fläche ‚inkorporieren‘. Denn ein Bild-Riss im Sinne einer durch das Textile gebrochenen Repräsentation resultiert auch daraus, dass die Präsenz der Leinwand als strukturierter, gerasteter Bildträger gerade umgekehrt im Bild deutlich hervorgehoben, bzw. vorgetäuscht wird. Unter der gemalten Oberfläche als Ort der pikturalen Leibhaftigkeit der geschichteten Farbe erscheint also das verflochtene innere Fleisch des Bildes. Auf diese Art und Weise wird die Autonomie der von der Leinwand selbst getragenen Darstellung mit ihrer eigenen Rhetorik des Kolorits und Inkarnats entblösst; hier wäre z. Bsp. der Akt der Visualisierung / Simulierung der textilen Verknotung, wie auch des Entfaltens / Zusammenfaltens, Aufrollens, Umknickens der Bildfläche usw. als Relativierung und Auflösung der bekleidenden mimetischen Ebene des Dargestellten sowohl im theoretischen, als auch bildhistorischen Kontext zu thematisieren.

Pointiert liesse sich also fragen, inwieweit kann der textile Bild-Riss, der als Indiz der Negation, Fragmentierung und Heterogenität des Bildes bzw. des Bildkörpers fungiert, eine Situation der Selbstreferenzialität kreieren? Kann solch eine Bildstörung durch ihre Unwiederholbarkeit und Individualisierung einen Kommentar jenseits der Repräsentation liefern? Spricht das geöffnete, unterbrochene, verletzte, gehäutete Bild durch seine Wunden, Narben, Stigmata und viszerale Entblössung über sich selbst als tableau?

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