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Neben dem Tod, der Himmelfahrt und der Krönung Mariae bilden die Inkarnation, Passion und Auferstehung Christi das zweite große Thema im Bildprogramm des Krakauer Marienaltars, den Veit Stoß von 1477-1489 für die größte der fünf innerstädtischen Pfarrkirchen Krakaus anfertigte. Während sich auf den Außenseiten anderer Retabel Malereien befinden, verwendete Veit Stoß stattdessen das Flachrelief – womit der Krakauer Marienaltar eines der ganz wenigen erhaltenen Schnitzretabel mit Skulptur als alleinigem Gestaltungsmittel ist. Auch ikonographisch finden sich zahlreiche kleine und große Besonderheiten: So wurde der Marientod in keinem Altarretabel zuvor an so zentraler Stelle und in so monumentaler Form dargestellt; bei der Himmelfahrt Mariens handelt es sich um einer der ersten Darstellungen ihrer leiblichen und seelischen Himmelfahrt nördlich der Alpen.
Ein zentrales Anliegen des Vorhabens ist, die innovative Dichte des Bildprogramms nach medialen Reflektionen zu befragen. Zwar sind sämtliche Teile des Retabels skulptural gestaltet, doch stuft Veit Stoß die verschiedenen Plastizitätsgrade äußerst differenziert ab und stellt die Skulptur zudem in ein spannungsvolles Wechselverhältnis zu ihrer farbigen Fassung. Damit überträgt er ein künstlerisches Gestaltungsprinzip von der niederländischen Malerei auf die Skulptur und thematisiert auf metaskulpturaler Ebene den dargestellten Inhalt – die Inkarnationsszenen sind als (plastische) Bildwerdung aufgefasst, während sich in den Auferstehungs- und Himmelfahrtsszenen das Materie gewordene Bild von seinem Träger wieder löst. Indem nach ähnlichen Prozessen in der niederländischen und italienischen Malerei gefragt, im Oeuvre von Veit Stoß vergleichbare mediale Reflektionen gesucht und schließlich die Bedeutung von Körperlichkeit und Medialität im Flügelretabel verhandelt wird, soll der zunächst monographisch angelegte Fokus erweitert werden.
Ein weiteres Hauptinteresse des Vorhabens ist, die ostmitteleuropäische Metropole Krakau als spezifischen Entstehungsort für eine solch selbst-bewusste Inszenierung des sakralen Bildes in den Blick zu nehmen. Kennzeichnend für die Kunstlandschaft Krakaus ist, dass mit dem ausgehenden 15. Jahrhundert vor allem am königlichen Hof die Renaissance immer stärker Einzug in die Metropole hielt, die großen Retabel dieser Zeit hingegen von einer süddeutsch-niederländischen Formensprache geprägt blieben. Einerseits interessiert hierbei, welche Kunstform welche Aufgaben erfüllte und welche Rezipientenkreise sie jeweils bediente. Mit der Renaissance vor der Tür stand Veit Stoß andererseits zunehmend unter Druck, in seinem spätgotischen Formenvokabular – das er virtuos beherrschte – besonders überzeugende und innovative Formulierungen zu entwickeln. Dies konnte er mit einer gewissermaßen privilegierten Bewegungsfreiheit auch tun, befand er sich im Krakau des 15. Jhs. zwar in einem geistigen und kulturellen Zentrum – was die Kunstproduktion betrifft, muss Krakau jedoch eher als Peripherie bezeichnet werden: seine Kunstschätze wurden zu großen Teilen von zugereisten Künstlern gefertigt oder aus dem Ausland importiert. Fernab von den tonangebenden Kunstzentren war die Macht der Konvention hier weniger stark und entsprechend mehr Freiraum für eigene künstlerische Lösungen gegeben. Zudem muss das geistige, humanistisch geprägte Umfeld, in dem Veit Stoß sich nachweislich bewegte, besonders anregend für ihn gewesen sein. In seiner gotischen, häufig als rückwärts gewandt betrachteten Formensprache gelangte er unter medialen Gesichtspunkten so zu einer innovativen, hochgradig selbstreflexiven Lösung, die sämtliche Spielräume des Mediums Flügelretabel auslotet.
Die vollständig malerische Ausstattung profaner Räume und Raumgruppen im Trecento bedient sich besonderer Inszenierungsstrategien, die eine Wech-selwirkung zwischen Bild und Betrachter evident machen. Im Grundmuster von Vorzeigen und Verbergen werden die Malereien zum aktiven Medium und fordern den Betrachter als Gegenpart zu einer visuellen (con gli occhi) und imaginativen (con la mente) Handlung heraus. Ausgehend von den Wandma-lereien in der Camera d’Amore im Castello di Sabbionara in Avio (Trentino) schärfen dabei inhaltlich wie formal verwandte, zeitgenössische sakrale Bildzyklen den Blick für das Konzept des impliziten Betrachters. Das Streben nach innovativen Bildfindungen, komplexen Erzählstrukturen und einer Ver-schmelzung von Bild- und Betrachterraum, die eine hohe illusionistische Qualität der Malereien voraussetzt, verbindet sie mit der literarischen Avant-garde ihrer Zeit.