Navigation auf uzh.ch

Suche

Kunsthistorisches Institut

Beständig ephemer

Textilien als Motiv, Material und Metapher in der Plastik

(English version and program below)

Internationales Kolloquium

Universität Zürich, Raum SOE-E-01, Schönberggasse 11

9. März 2012, 9:10 - ca. 18:00 Uhr

Konzept

Ihre Skulptur The Sail von 1988 kommentierte Louise Bourgeois mit folgenden Worten: „Die Herausforderung bestand darin, dass dieser Block Marmor von Anfang an eine Polarität zweier gegensätzlicher Dinge enthielt […]. Die Brise im Segel wird also in einem sehr harten Material, in Marmor ausgedrückt.“ Diese Spannung zwischen der Härte des Materials und der Weichheit des dargestellten Objektes ist charakteristisch für Skulpturen, die Textilien imitieren. Textilien spielen als Bekleidung seit jeher eine wichtige Rolle in der Bildhauerei und gewannen etwa als Draperie im 16. Jahrhundert die Aufmerksamkeit der gegenreformatorischen Kunsttheorie. So betrachtete der Florentiner Bildhauer Bartolomeo Ammannati die Herausforderung der bildhauerischen Darstellung von Tüchern derjenigen des menschlichen Körpers als ebenbürtig. In der barocken Skulptur, insbesondere Gianlorenzo Berninis, bekam die Draperie gar ein Eigenleben: Sie bezieht sich nicht mehr direkt auf den eingehüllten Körper, sondern entwickelt sich zum expressiven Mittel und Selbstzweck. Dementsprechend beschreibt Gilles Deleuze in seiner Schrift Die Falte von 1988, die sich auf Leibniz beruft, dass in Berninis Skulpturen „der Marmor Falten ins Unendliche trägt und erfasst, die nicht mehr mit dem Körper zu erklären sind, sondern mit einem geistigen Abenteuer […]. Es ist keine Kunst mehr der Strukturen, sondern eine der Texturen“..

Als eine Kunst der Texturen kann auch die moderne Plastik bezeichnet werden, die sich verschiedenster Materialien bedient. Ohnehin scheint das Arbeitsmaterial in der Bildhauerei so grundlegend für die Erscheinung, Form und Bedeutung des Kunstwerks zu sein wie in keiner anderen Gattung der bildenden Kunst. Diese Meinung vertritt unter anderen Bildhauern Naum Gabo in seinem Aufsatz Plastik: Bildnerei und Raumkonstruktion von 1937. Der Kontrast zwischen Weichheit und Härte eröffnet sich indessen nicht nur in Skulpturen, die Textilien nachahmen, sondern auch in plastischen Werken, die ganz oder teilweise aus Textilien bestehen. Nachdem die Bildhauerei über Jahrhunderte speziell durch ihre robusten und dauerhaften Materialien gekennzeichnet war, begannen die Künstler des frühen 20. Jahrhunderts mit unterschiedlichen Werkstoffen zu experimentieren. Zu nennen sind Oskar Kokoschkas Plastiken aus weichen Materialien wie Textilien, etwa seine Fetischpuppe Alma von 1918/19. Durch ihre Nachgiebigkeit kontrastieren und hinterfragen Textilien das bisher gültige Postulat der Beständigkeit der Plastik: Die Ephemeralität, Beweglichkeit und Faltbarkeit des Stoffes stehen der Dauerhaftigkeit und Robustheit von Stein, Bronze, Eisen, Ton und Gips gegenüber..

Neben den genannten Spannungsfeldern und Gegensätzen bestehen zwischen dem skulpturalen und dem textilen Medium enge Verbindungen, in erster Linie ihre taktilen Qualitäten. Darüber hinaus spielt der Aspekt der Reproduktion eine wesentliche Rolle: Die Verfahren zur Textilherstellung besitzen einen ebenso reproduktiven Charakter wie die meisten Techniken der Bildhauerei. Die Verbindungen und Gegensätze kommen im thematischen Schwerpunkt der Tagung zum Ausdruck, der einerseits auf Skulpturen liegt, die Textilien in einem anderen Medium imitieren, und andererseits auf Objekten, die Textilien und Texturen als künstlerisches Material und Gestaltungsmittel verwenden. Die zeitliche Periode umfasst plastische Werke vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

Organisation und Kontakt

Dr. des. Tabea Schindler

Enduringly ephemeral. Textiles as Motif, Material, and Metaphor in the Plastic Arts

International colloquium

University of Zurich, room SOE-E-01, Schönberggasse 11

March 9, 2012, 9.10 am - c. 6 pm

Concept

Louise Bourgeois remarked upon her 1988 sculpture The Sail: “I would say that what challenged me into doing this piece is that it expressed in polarity two things that are opposite […]. So we express the breeze in a sail in a very hard material, which is marble.” This tension between the hardness of the material and the softness of the object represented – in this case the sail – is characteristic for sculptures that imitate textiles. Although the representation of textiles had been fundamental to sculptures, the handling of draperies was first theorized in the sixteenth century. Florentine sculptor Bartolomeo Ammannati regarded the challenge of the sculptural rendering of cloths as equal to that of the human body. In baroque sculpture, particularly in the art of Gianlorenzo Bernini, drapery obtained a life of its own: It was no longer contingent upon the underlying figure, but rather became an end in itself. Accordingly, Gilles Deleuze, in his 1988 Leibnizian work The Fold, described this phenomenon in Bernini’s sculptures as: “when marble seizes and bears to infinity folds that cannot be explained by the body, but by a spiritual adventure […]. His [Bernini’s] is not an art of structures but of textures”.

Modernist sculpture that incorporates a variety of materials may also be described as an art of textures. The chosen material in sculpture seems to be as fundamental to the appearance, form, and significance of the work of art as in no other genre of visual art. This opinion was expressed by Naum Gabo as early as 1937 in his essay Plastik: Bildnerei und Raumkonstruktion. The contrast between softness and hardness is not only revealed by sculptures imitating textiles but also by plastic works of art comprised partly or entirely of textiles. After sculpture had been characterized specifically by its solid and durable materials, early twentieth-century artists began experimenting with different materials. Oskar Kokoschka who, in 1918/19, had commissioned the fetish doll Alma is considered precursor of sculptures comprised of soft materials like textiles. By means of their flexibility, textiles contrasted and challenged the hitherto accepted postulate of the plastic art’s durability. That is, the ephemerality, flexibility, and foldability of textiles stand in bold contrast to the durability and stability of stone, bronze, iron, clay, and plaster.

In addition to these contrasts and tensions, there are also connections between the media of sculpture and textile. Foremost among these are the tactile qualities of both art forms. Moreover, techniques of textile and sculptural production lend themselves to reproduction. The conference focuses on these connections and contrasts. On the one hand, it addresses sculptures that imitate textiles within another medium and, on the other hand, it takes up objects that use textiles and textures as sculptural and design media. The wide-ranging temporal and thematic framework will span the plastic arts from the Middle Ages to the present day.

Organization and contact

Dr. des. Tabea Schindler

Programm - Program

Moderation: ANNA BÜCHELER (Zürich/Toronto)

Vormittag - Morning:

  • REGINA DECKERS (Rom)
    Die ewige Totenwache. Leichentücher in der Plastik
  • SUSANNA BLASER-MEIER (Zürich)
    Das Grabmal als Bett. Textile Elemente auf mittelalterlichen Grabmonumenten
  • MARTIN KIRVES (Basel)
    Textile Ornamentalität. Gewandfaltenstrukturen bei Tilman Riemenschneider
  • ESTELLE LINGO (Seattle/Washington D.C)
    In a Flap. Drapery as an Index of the 'Baroque'
  • BIRGITT BORKOPP-RESTLE (Bern)
    Textur - Relief - Raum. Haptik und Optik historischer Textilien

Nachmittag - Afternoon:

  • MONIKA WAGNER (Hamburg)
    Tüll, Samt und andere Textilien. Zur temporären Bekleidung von Skulpturen aus 'ewigen' Stoffen
  • TABEA SCHINDLER (Zürich/Bern)
    George Segal und die Stoffe der Erinnerung
  • ANTJE KEMPE (Greifswald)
    Videoschleier, oder neue Bildtexturen gegen monumentale Praktiken des Verschweigens
  • TRISTAN WEDDIGEN (Zürich)
    Gender Myths
  • MARC WELLMANN (Berlin)
    Soft skills. Textilien in der zeitgenössischen Skulptur